Samstag, 1. Oktober 2011

Alltag kehrt ein

In den letzten zwei Wochen ist nun mal so etwas wie Routine eingekehrt und ich habe eigentlich alles organisatorische vorerst mal geklärt, ein gutes Gefühl.

Naja, wie sieht so ein normaler Tag so aus bei mir:
6.00 ist Tagwache, da bekomm ich dann Tee und Kekse und dann geht’s ab 25 min Fußmarsch aufs College.
7.00 Ich komme eh im College an (das um 7 Uhr beginnt) und bin die zweite Studentin, nur ein Studienkollege kommt immer um 10 vor 7, keine Ahnung was ihn dazu treibt.
7.20 schön langsam kommt die erste Lehrerin auch mal an, die family und social work unterrichtet. Eigentlich ein sehr interessantes Fach, aber mit vielen Referaten.
8.10 Nachdem sich noch ein paar Kollegen zu uns gesellt haben beginnen wir mit Research (dort lernen wie die Grundlagen, wie wir unsere Bachelorarbeit schreiben sollen), also echt auch wichtig für mich. Die Research Tante hat mich gleich am zweiten Tag gefragt, ob es mir leicht zu schwer ist und ich nicht mitkomme, ich hab ihr dann mal erklärt, dass des alles schon a bissl a Orientierungsphase braucht, wenn ma sich auf ganz viele neue Sachen (Sprache, Lehrer, Fächer, College, Lehrmethoden etc.) einstellen muss. Sie hat dann mich immer wieder im Unterricht Fragen gestellt, damit sie schauen kann, ob ich wirklich nicht zu dumm dafür bin. Das Ganze hat nur ein Problem: sie spricht prinzipiell auf Englisch, außer sie erklärt etwas, dann wechselt sie auf Nepali. Also ich weiß immer um was sie gerade erklärt, aber die Erklärung verstehe ich nicht. Also nachdem sie lange auf Nepali etwas erklärt hat, kommt dann die Verständnisfrage für mich wieder auf Englisch, vollkommend aus dem Zusammenhang gerissen für mich. Naja ich hab ihr mal versucht zu erklären, dass ich mir auf Nepali schon etwas schwer tue, naja. Von meiner ersten Prüfung, die ich ja gleich am zweiten Tag bei ihr ablegte, war sie sogar positiv überrascht.
9.00 eine halbe Stunde Pause (ja eine halbe Stunde ist echt ein dehnbarer Begriff)
9.45 geht’s dann für die Hälfte der Anwesenden (die Anderen verlängern ihre Pause meist noch um eine viertel bis halbe Stunde) weiter mit Rural and Urban community development (die Entwicklung der ländlichen und städtischen Bevölkerung). Ein äußerst spannendes Thema, besonders auf Nepal bezogen. In diesem Fach hatte ich diese Woche meine erste Präsentation über Consequences of rapid urbanisation (Konsequenzen der schnellen Verstädterung). Ja hat mir keiner dort zugetraut (so wie vieles nicht), dass ich ein Referat schaffe. Da habens etwas geschaut, wie ich so präsentiert habe, ohne auf meinem Plakat den ganzen Text stehen zu haben und alles herunter zu lesen (so wie meine lieben nepalesische Kollegen). Sogar der Direktor kam extra zuhören und war begeistert, und meine Lehrerin sagte auch nur, dass sie vollkommend zufrieden ist. Ja hat mir gut getan.
10.40 kommt dann eigentlich die Leiterin (eigentlich keine Ahnung was ihre genaue Position ist) des Colleges und wir haben developing communication (bildende Kommunikation oder so)- hab bis heute nicht kapiert was der Sinn dahinter ist. Wir haben außerdem erst eine Stunde dieses Faches gehabt, dafür schon 1000 Arbeitsaufträge (Plakat, Magazin, Broschüre herstellen etc.).
11.30 geh ich dann, wenn nicht wie meistens noch was Organisatorisches geklärt gehört, zurück in mein Hostel, esse dort meinen Reis mit Erbsensouce (natürlich mit der Hand mhh)
Ja so sieht meist mein Collegetag aus, bzw. so ist mal der Plan, obwohl sich eh immer irgendwas anders ergibt
den Nachmittag verbringe ich mit Arbeiten für die Schule, lesen, Gesprächen, Wäsche waschen usw.
dann um ca. 19.10 gibt’s wieder lecker Reis mit Erbensouce und meistens Gemüse und dann…. ja man glaubt es kaum, aber zwischen 21 und 22 Uhr liege ich immer im Bett.
Dieses bald- ins- Bett gehen ist eine meiner neuen ungewöhnlichen Angewohnheiten. Gestern wär ich sogar schon fast um 20.15 gegangen, aber das schien mir doch zu bald.
Noch eine andere ungewöhnliche Angewohnheit ist, dass ich eigentlich jeden Tag die Erste am Morgen bin, die aufsteht, sogar schon an freien Tagen zwischen halb 7und halb 8. Ich habe Gefallen gefunden an den Morgenstunden.
Was noch etwas Sonderbar ist, mir macht das Wäsche waschen mit der Hand zurzeit echt Spaß. (liebe Mama bitte lies diese Zeile nicht, ich will nicht, dass es irgendwelche ungewollten Nachwirkungen mit sich zieht). Aja und im letzten Bericht wirkt es so, als würde ich nicht Wäsche waschen können. Ich hab schon einen Plan wies geht, aber jede Hausfrau (und so auch die Betreuerin in meinem Hostel) hat da einfach die eigenen Vorstellungen, und die sind die einzigen richtigen.
Außerdem hab ich noch eine neue absolute Lieblingsbeschäftigung gefunden. Doch darüber werde ich mal extra was schreiben.
Eine weitere Veränderung ist, dass ich zum absoluten Tierfreund geworden bin, nicht das ich sie vorher nicht mochte, aber jetzt hab ich echt eine enge Beziehung aufgebaut:
Ich freu mich immer wieder über Besuch von Geckos in meinem Zimmer, die schnell mal „Hallo“ sagen. Meine täglichen Begleiter die Kakerlaken würde ich vermissen, wenn sie nicht in meinem Zimmer wären (außer wenn sie in meinem Kleiderkasten sind, bin ich meist nicht so erfreut, aber oft chancenlos). Und hin und wieder ein Überraschungsbesuch einer Maus, lässt mein Herz höher schlagen. Mit den Spinnen und Ameisen hab ich leider noch nicht so engen Kontakt aufgenommen, weil sie einfach zu viele sind um persönliche Gespräche aufzubauen.
Aber den engsten Draht habe ich zu den Hunden in der Nachbarschaft. Sie sind wirklich treue Freunde geworden. Egal um welche Uhrzeit ich ins Bett gehe (es ist schon auch vorgekommen, dass es ein oder zweimal halb 11 war), die Hunde sind startklar und sobald ich im Bett liege und das Licht abdrehe beginnen sie mir jeden Abend eine ewig lange lautstarke Gute- Nacht- Geschichte zu erzählen, in verschiedenen Tonlage, damit es spannend bleibt. Meistens schlafe ich dann doch irgendwie mitten in der Geschichte ein. Aber auf meine Freunde ist Verlass, entweder sie wecken mich mitten in der Nacht noch einmal auf um weiterzuerzählen, aber das nur manchmal. Jedoch kann ich mich gewiss darauf verlassen, dass sie schon wieder lautstark weitererzählen, wenn ich in der Früh munter werde.
Ich mag solche treuen Tierfreundschaften.

Aja bei meinem Tagesablauf hab ich ganz vergessen zu erwähnen, dass ich ja nur drei Tage in der Woche (So, Mo, Di) am College bin. Die anderen Tage (Mi, Do, Fr) arbeite ich in einer Organisation mit. Letzte Woche wurde mir dann schon eine Organisation zugewissen, in der ich dann die drei Tage verbrachte. Es ist ein Waisenhaus für 9 Kinder. Klingt ja sehr spannend. Als ich dann dort ankam waren nur zwei Kinder da. Ich fragte, wo die anderen seien- ja natürlich in der Schule. Ich vergaß ganz darauf. Die Kinder sind also von 9 bis 16 Uhr in der öffentlichen Schule und ich von 10 bis 17 Uhr bei ihnen in der Organisation um mit ihnen zu arbeiten. Ups, da geht sich irgendetwas nicht so aus… als ich die Verantwortlichen dort ansprach meinte sie, dass es soviel zu tun gibt… kochen, putzen, Wäsche waschen, Garten arbeiten etc. Klingt ja mehr nach Hauswirtschafts- Praktikum als sozial Arbeiter.
Nach eine Gespräch in meinem College werde ich nun nur meine Ferien dort verbringen und aber eine neue Organisation suchen. Diese Woche hab ich dann wieder ein paar angeschaut. Ein Direktor war sehr nett und hätte mich gerne dort gehabt, aber er hat gleich angefangen, dass die Bücherei sortiert gehört usw. Naja ich werde wohl dort ein paar Nachmittag verbringen.
Und dann endlich fand ich die perfekte Organisation. Dort sind 50 Kinder, die körperlich und /oder geistig beeinträchtigt sind. Sie werden dort unterrichtet und gefördert. Genau das was ich wollte, und das Wichtigste, es ist ein Platz, wo ich auch meine Fähigkeiten als Sonderschullehrerin verbessern kann (das ist ja irgendwie der Sinn von einem Praktikum, für das ich Kredits bekomme).
Am 2. Nov gehts dann dort los, bin schon gespannt.
Ja ich war ja jetzt schon eineinhalb Wochen im College, darum hab ich mir meine Ferien reichlich verdient. Es sind nämlich jetzt bis 2. Nov Ferien, weil zwei große hinduistische Feste sind. Ich hab mir aber vorgenommen, dass ich viel Zeit im Waisenhaus verbringen werde. Derzeit schaut es aber auch so aus, als könnte ich vielleicht ein Dorf besuchen fahren. Mal sehen, in Nepal ist eh nichts planbar.

Ui es gibt immer so viel zu erzählen.
Also ein Punkt noch: meine Hostel- Familie
Ich bin ja nicht mehr bei meiner Gastfamilie sondern seit zwei Wochen in einem Studentenheim (Hostel) für Mädchen. Das lustige ist, ich bin derzeit noch die einzige, die anderen kommen erst nach den Ferien.
Doch ganz alleine bin ich ja nicht, neben meinen tierischen Freunden, habe ich noch 3 weitere Wegbegleiter. Aus psychologischer Sicht ist unsere Zusammenstellung äußerst interessant.
Mit der Betreuerin im Hostel verstehe ich mich sehr gut. Wir haben schon viele sehr gute Gespräche geführt und können uns gegenseitig alle Fragen stellen, die wir schon immer über die andere Kultur wissen wollten, echt schön. Sie hatte nur leider bis jetzt schon ein sehr schwieriges Leben mit vielen sehr schockierenden Erlebnissen. Das meiste davon konnte sie noch nicht verarbeiten. Ich bin jetzt eine große Ansprechpartnerin für sie, was ich sehr gerne mache, wobei es aber etwas schwer fällt, mich manchmal davon abzugrenzen.
Dann ist ihr 15-jährige Sohn bei uns im Hostel, der sowas von nett undhöflich ist. Er hat leider sehr schwierige Jahre hinter sich, in denen ganz viel falsch gelaufen ist. Darum hat er auch all seine Freunde und Bezugspersonen verloren. Die einzige Person, die er hat, ist seine Mama, an der er natürlich viel Frust auslässt. Seit ich nun da bin, führen wir viele Gespräche, er erzählt mir Sachen, die er mit seiner Mama halt nicht besprechen will, und wir haben ein gutes freundschaftliches Verhältnis.
Und dann ist noch eine 35-jährige da, die gerade versucht wieder Visum für Israel zu bekommen, weil sie dort gearbeitet hat und wieder arbeiten will. Es ist sehr schwierig und sie steht ständig unter Anspannung, weil ihr ganzes Leben gerade von der Entscheidung der Botschaft abhängt.
Alle von uns haben ein eigene Zimmer derzeit noch, aber jeden Abend geht meine Zimmertür auf und die 35- jährige kommt herein, und fragt mich, ob sie wieder bei mir schlafen darf, weil alleine hat sie Angst. Am Morgen verschwindet sie dann wieder in ihr Zimmer.

Ja eine ganz spannende Zusammensetzung hier. Teilweise sehr kräfteraubend für mich, andererseits hab ich echt meinen Platz in dieser Gruppe gefunden und wir sind fast wie eine kleine Familie, ich genieße es sehr.



Also zusammenfassend: Mir geht es recht gut hier. Ich wanke zwischen Chaos, Überforderung, absolute Hilfsbereitschaft, Orientierung finden, zuhause fühlen, Routine etc. herum und bin sehr sehr dankbar, dass ich diese Erfahrung machen kann.

Aja ziemlich am Anfang meiner Nepal Zeit wurden wir von einem Erdbeben ueberrascht. Es war spannend sowas mal zu erleben, aber es war eigentlich schon recht lange und min eine Minute lang. Ich hab eine halbe Stunde gebraucht bis ich mich wieder erholt habe, weil alles weiter geschuettelt hat und mir auch noch irgendwie schwindlig war.
Ich bin in einer schmalen Gasse zwischen hohen Haeusern gestanden und hab sie angeschaut, in der Hoffnung, dass sie nicht umfallen.
In meiner Gegend ist nichts schlimmes passiert, aber gleich um die Ecke von meiner Gastfamilie sind 3 Menschen gestorben (die Mauer der englischen Botschaft ist umgefallen). Es hatte doch mehr Auswirkungen als wir anfangs dachten, aber wenn es etwas staerker gewesen waere... ich will garnicht wissen was dann noch alles passiert waere.

Ja also so viel solange von mir. Wie geht’s euch zuhause? Was tut sich? Welche Veränderungen gibt es? Ich freue mich immer wieder über Nachrichten von zuhause.
Es ist zwar spannend, dass ich dieses Abenteuer hier ganz alleine mache, aber vermissen tue ich euch schon teilweise sehr.

Allen Studenten wünsche ich einen guten Start ins neue Studienjahr. Ich werde an euch denken (besonders jetzt bei eurem Studienstart und meinem Ferienbeginn).

Derzeit noch viele sonnige Grüße aus Nepal

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